Enteignungen zum Zwecke der Errichtung der Eisenbahnstrecke Minden – Hannover

Geschichtliche Einordnung

Im Jahr 1841 schlossen Hannover und Preußen einen Vertrag zum Bau einer Eisenbahnstrecke von Hannover nach Minden. Das Fürstentum Schaumburg-Lippe trat diesem 1845 bei, da die Strecke durch weite Teile des Hoheitsgebietes verlief. Zur Leitung über den Bau und alle weiteren Angelegenheiten, darunter auch die zur Durchführung eines solch großen Infrastrukturprojektes notwendigen Enteignungen in den verschiedenen Bückeburger Ortsteilen, wurde bereits 1842 eine Eisenbahn-Commission gegründet. Der damalige Fürst Georg Wilhelm beteiligte sich gegen eine Beiteilung an den Einnahmen der Bahn an den Baukosten. Im Oktober des Jahres 1847 wurde die Strecke offiziell eingeweiht. Der schaumburger Anteil der Bahnstrecke ging im Jahr 1883 in preußischen Besitz über.

Rechtliche Grundlage

Um die notwendigen Ländereien in den Landesbesitz zu überführen, wurde als rechtliche Grundlage der Paragraph 47 des eigens hierfür geschaffenen Expropriationsgesetzes vom 25.04.1845 herangezogen.

Bekanntmachung

In den Anzeigen des Fürsthenthums Schaumburg-Lippe wurden die durch die Enteignung betroffenen Familien und Personen dazu aufgerufen, ihre ausgehandelten und zugesicherten Entschädigungszahlungen in Empfang zu nehmen. Der Aufruf dazu wurde im Abstand von wenigen Wochen mehrfach veröffentlicht.

Ausgabe No. 35 der Anzeigen des Fürsthenthums Schaumburg-Lippe

In dieser Ausgabe vom 28.08.1847 wurden die nachweislich anspruchsberechtigten Müsinger am Mittwoch, den 1. September 1847 in die Amtsstube einberufen um die Gelder in Empfang zu nehmen. Ferner konnten bis zu diesem Datum weitere Ansprüche von jedem Bürger gegenüber der Eisenbahn-Commission angemeldet werden. Solche Termine gab es auch für andere Dörfer.

Aus unserer Gemeinde wurden die Colone

entschädigt. Siehe Seite 230 ff. der Anzeigen.

Anzeigen des Fürstenthums Schaumburg-Lippe
Ausgabe No. 35 der Anzeigen des Fürstenthums Schaumburg-Lippe (Klick auf das Bild öffnet das PDF Dokument)

Auszug aus der Archivale aus dem Niedersächsisches Landesarchiv der Archivsignatur: nla_bu_l_101_a_ki_nr._17
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In derselben und auch in weiteren Bekanntmachungen wird auch darüber berichtet, dass auch in der Feldmark von anderen Gemeinden, wie z.B. Petzen, Achum oder Tallensen die Eigentümer Ihre Entschädigungen einfordern und erhalten konnten. Zum Teil waren dort wesentlich mehr Familien von den Enteignungen betroffen, als in Müsingen, vgl. Seite 231 für das Dorf Petzen alleine 16 Personen.

Die Anzeigen ähnelten in Teilen den heutigen amtlichen Bekanntmachungen, gemischt mit Kleinanzeigen. Hier wurde aber auch über andere gesellschaftliche Dinge informiert, z.B. über die Brottaxe oder Strafen für niedere Verbrechen. Deren Täter wurden darin auch namentlich genannt, unter anderem ein Mitbürger der wegen ungebührlichen Betragens und Beleidigungen zu einer Haftstrafe von 14 Tagen verurteilt wurde, vgl. Deckblatt der Ausgabe.

Expropriationstabelle

In dieser Tabelle werden die Grundstücke auf der Expropriationscharte No. 18 aufgelistet, welcher Art die Grundstücke waren (Ackerland, Holzwirtschaft, etc) und die Größe sowie etwaige Besonderheiten. Hier sind die Namen der Anspruchsberechtigten bzw. deren Grundstücke aufgelistet. In der damaligen Zeit erstreckte sich das Gebiet der Müsinger Gemeinde weiter in Richtung Scheie und Achum als heute.

Am Beispiel des Colons Everding ist in Spalte 5 die Nummer 588 zu lesen, dies ist die Nummer des Grundstücks auf der Karte.

Die Nummer findet sich auf der Expropriotions-Charte wieder. Es war 29.05 Quadratruten groß, was heute umgerechnet ca. 410 Quadratmeter entsprach – in der preußischen Größe gerechnet. In der bückeburger Waldrute gemessen wären es 625 Quadratmeter gewesen. Hierbei handelt es sich um die tatsächlich für den Bau benötigte Fläche – nur diese wurde entschädigt / enteignet.

Im Folgenden Abschnitt wird die Karte näher erläutert.

Expropriationstabelle
Expropriationstabelle der Grundstücke in der Müsinger Feldmark (Klick auf das Bild öffnet das PDF Dokument)

Auszug aus der Archivale aus dem Niedersächsisches Landesarchiv der Archivsignatur: nla_bu_l_101_a_ki_nr._17
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Expropriationscharte No. 18

Die Karte zeigt den Ausschnitt des damals geplanten Streckenverlaufs von der damaligen Gemarkungsgrenze von Jetenburg bis nach Achum. Dabei ist zu beachten, das die Karte die Sicht von Hannover aus, Richtung Süden abbildet. Die situative Lage findet sich relativ genau z.B. bei Google-Maps wieder, dazu muss die Karte allerdings gedreht werden. Als Ankerpunkt kann die Chaussee von Scheie nach Bückeburg dienen – die heutige Scheier Straße.

Der für die Beurteilung der Lage hinsichtlich der Müsinger Feldmark weitaus wichtigere Ankerpunkt ist allerdings der Verlauf des heutigen Wirtschaftsweges angrenzend an die heute Straße Am Flugplatz welcher auf der Karte die geplante Bahnlinie in der Nähe des Textes Auf dem oberen Felde kreuzt.

Expropriationscharte No. 18
Expropriationscharte No. 18 der Situation in der Feldmark (Klick auf das Bild öffnet die Karte)

Archivale aus dem Niedersächsisches Landesarchiv der Archivsignatur: nla_ha_bu_s1_a_609
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Müsinger Feldmark und Situation heute

Auf dem Ausschnitt sind die Grundstücksnummern aus der Expropriationstabelle zu sehen, z.B. die Nummer 588 welche Colon Everding gehörte, oder das kleine Waldstück bzw. die Holzung, mit der Nummer 589 welche im Besitz von Colon Ostermeier war.

Heute gehört alles auf der Karte unterhalb der Bahnlinie gesehen zu Scheie. Die heutige Straße Am Brühlfeld im Nachbardorf geht wohl klar auf die damalige Benennung des Feldes Auf dem Brühl Felde zurück. Dies ist auf der gesamten Karte zu sehen. Der Ausschnitt bzw. Das obere Feld ist heute Teil des Heeresflugplatzes.

Am Rechten Bildrand ist der Wirtschaftsweg ins obere Dorf bzw. die Kreuzung der Bahnlinie zu sehen.

Ausschnitt Expropriationscharte
Der relevante Ausschnitt auf dem die Müsinger Feldmark verzeichnet ist
Ausschnitt Wirtschaftsweg / Flugplatz
Ausschnitt Wirtschaftsweg (nur schwach zu erkennen, ganz rechts) / Flugplatz heute

Entschädigungszahlungen

Die Grundentschädigungstabelle enthält die tatsächlichen Entschädigungen die auf Basis der Expropriationstabelle ermittelt und den Anspruchsberechtigten vorgelegt wurden, gerechnet in Taler, Groschen und Pfennigen. Die Tabelle weist etliche Spalten auf, in denen je nach Situation der Länderei und etwaigen Lasten und zu zahlenden Zinsen eine Art Rechnung angestellt wurde, um zu einem Geldwert am Ende in Spalte 24 zu kommen. Die Tabelle weißt auch eine Spalte aus, in dem die Quittierung des erhaltenen Betrages möglich war. In dieser konkreten Tabelle ist diese Spalte jedoch überall leer.

Interessant ist hierbei, dass die Gelder erst einen Monat vor der Inbetriebnahme der Bahnstrecke ausgezahlt wurden. Somit hatten die Anwohner während der Bauphase außer eines schriftlich fixierten Anspruchs, nichts in der Hand, obgleich Sie das Land faktisch bereits abgetreten hatten, bzw. den Anspruch an den Rechten zur Nutzung.

Grundentschädigungstabelle

Am Beispiel des Colons Everding (vgl. Seite 4 und 5) ergibt sich für dessen Ländereien ein Preis von 46 Talern / 16 Groschen / 6 Pfennige (Spalte 15) plus Zinsen von 2 Talern / 15 Groschen / 6 Pfennige (Spalte 22) die bis zur Zahlung fällig wurden.

In der Zeit um 1850 entsprach dies etwa einem Drittel des Jahresbedarfs einer 5-köpfigen Familie.

Für die im Beispiel genannte Fläche ist dies eine relativ Hohe Summe. Mit zwischen ca. 400 und 620 Quadratmetern war damals sicherlich keine Familie zu ernähren.

Grundentschädigungstabelle für die Eigenthümer und Berechtigten (Klick auf das Bild öffnet das PDF Dokument)

Auszug aus der Archivale aus dem Niedersächsisches Landesarchiv der Archivsignatur: nla_bu_l_101_a_ki_nr._17
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Glossar

Brottaxe
Eine früher durch die zuständige Behörde vorgenommene Feststellung des Brotpreises und der Machart der Brote bzw. deren Gewicht

Colon
Bauer, Ackerbauer, Landmann, Landwirt

Feldmark
Als Feldmark werden unbebaute Grundstücke einer Gemarkung / Gemeinde bezeichnet, also Ackerland, Wiesen, Weiden, Wald

Maßeinheiten
1 preußische Quadratrute entsprach 14,18 Quadratmetern
1 bückeburger Waldrute entsprach 21,54 Quadratmetern

Münzsystem
1 Taler entsprach 30 Groschen, 1 Groschen entsprach 12 Pfennigen

Quellen

Hannoversche Staatsbahn in der Wikipedia
Fürstentum Schaumburg-Lippe
Geld und Kaufkraft in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
Quadratrute in der Wikipedia
Weitere Maßeinheiten in der Wikipedia
die genannten Archivalien und weitere Akten aus dem niedersächsischen Staatsarchiv